»Ich sehe mich als Vermittlerin«
Foto: Seungwon Jung
Main-Echo //Alexander Bruchlos
Sinn Yang: Die neue Konzertmeisterin des Philharmonischen Orchesters Aschaffenburg über ihre besondere Rolle – Premiere am 21. Februar in der Stadthalle
Das Philharmonische Orchester Aschaffenburg bekommt eine neue Konzertmeisterin: die Geigerin Sinn Yang aus Würzburg. Ihren Einstand gibt die Musikerin bei der Champagner Musicale am 21. Februar 2026 in der Aschaffenburger Stadthalle. Ein Gespräch mit Sinn Yang, Dirigent Michael Millard (Mainz) und Carsten Schumacher, Vorsitzender des Philharmonischen Vereins, über die Gründe des Wechsels, Herausforderungen und Zukunftspläne.
Das Philharmonische Orchester Aschaffenburg hat erst kürzlich einen vielgelobten Rachmaninow-Abend veranstaltet. Weshalb kommt es ausgerechnet jetzt zu einem Wechsel der Konzertmeister-Position?
Carsten Schumacher: Das Philharmonische Orchester ist schon jetzt ein gutes Sinfonieorchester. Es kann aber durch geeignete Maßnahmen noch besser werden. Deshalb haben wir uns zu dem Wechsel entschlossen.
Welche Rolle spielt ein Konzertmeister oder eine Konzertmeisterin in einem Ensemble wie dem Philharmonischen Orchester?
Michael Millard: Ein Konzertmeister leitet die Erste Geige in einem Orchester und hat mehrere Aufgaben. Er koordiniert den Streicher-Bereich und ist der Hauptmusiker im Orchester. In einem echten Profi-Orchester hat der Konzertmeister meist nicht so viel zu tun, weil die Abläufe eingespielt sind. In einem Projekt-Orchester wie dem Philharmonischen Orchester mit Musikern aus dem Raum Würzburg, Aschaffenburg, Frankfurt und Darmstadt ist er viel wichtiger. Der Konzertmeister spielt die Solopartien und ist mitunter Solist bei Violin-Konzerten. Es ist daher wichtig, dass er oder sie mindestens gleichwertig oder auf einem höheren Niveau als die anderen spielt, auch um die anderen Musiker zu motivieren und mitzuziehen. Es ist oft ein langer Prozess, bis ein geeigneter Musiker oder eine Musikerin für diese Position gefunden ist.
Könnte es sein, dass Sie durch das angestrebte höhere Niveau auch Musiker verlieren?
Millard: Das kann durchaus sein, wenn das Gesamtniveau steigt. Nicht jeder hat die Zeit, ausreichend viel zu üben oder in Kursen seine Fähigkeiten zu verbessern.
Können Sie als Dirigent vom Podium aus erkennen, wo es eventuell hapert?
Millard: Im Streicherbereich nein, das wird eine der Aufgaben unserer neuen Konzertmeisterin Sinn Yang sein. Sie ist näher am Orchester dran und hat dadurch einen guten Überblick, wo etwaige Schwachstellen liegen. Als Dirigent kann ich mit dem Klang arbeiten, aber ich bekomme nicht mit, ob wirklich jeder richtig spielt. Ein Konzertmeister kann die Musiker direkt ansprechen.
Sinn Yang, Sie haben schon viel Erfahrung mit verschiedenen Orchestern gesammelt, auch als Konzertmeisterin. Wie sehen Sie ihre Rolle?
Sinn Yang: Ich sehe mich als Vermittlerin, die die Vorstellungen des Dirigenten in praktische Anweisungen für die Musiker meiner Instrumentengruppe übersetzt. Da geht es durchaus um Details. Etwa, an welcher Bogenstelle man gemeinsam einsetzt, damit das Ganze einheitlich klingt. Aber ich sorge auch dafür, dass das Zusammenspiel mit den anderen Instrumentengruppen, etwa den Bläsern, gelingt. Mir ist es wichtig, dass sich jeder Musiker im Orchester wohlfühlt. Im Idealfall fühlt sich das wie Kammermusik an. Das Verfolgen einer gemeinsamen musikalischen Idee steht im Mittelpunkt.
Kennen Sie das Philharmonische Orchester?
Sinn Yang: Bis jetzt noch nicht. Aber aufgrund meiner Erfahrung kann ich sagen: Das Schöne an Projektorchestern ist, dass jeder auch wirklich spielen will. Jeder Musiker ist freiwillig dabei. Wenn es einem Vorsitzenden und einem Dirigenten ein persönliches Anliegen ist, das Orchester weiterzubringen, ist das natürlich besonders schön.
Wie lange dauert es, ein Orchester kennenzulernen?
Millard: Das passiert in den ersten fünf Minuten.
Sinn Yang: Es geht vor allem um die musikalischen Dinge. Das hört man schnell. Wenn man sich auch menschlich versteht, ist das umso besser. Ich genieße natürlich einen Vertrauensvorschuss, weil ich eingeladen wurde. Das gegenseitige Vertrauen ist die wichtigste Basis.
Herr Schumacher, wie kamen Sie auf Sinn Yang?
Schumacher: Ich habe Sinn Yang schon mehrfach live spielen gehört. Mike und ich haben Kontakt zu ihr aufgenommen und ihr unsere Vorstellungen mitgeteilt. Umgekehrt hat auch Sinn Yang die ihren geäußert. So haben wir uns angenähert.
Sinn Yang, was reizt Sie an dieser Aufgabe?
Sinn Yang: Ich spiele sehr viel solistisch und kammermusikalisch und unterrichte außerdem viel. Die Orchestermusik ist für mich ein weiterer schöner Bereich meiner Arbeit. Dass beim Philharmonischen Orchester jeder Beteiligte auch wirklich spielen möchte, ist schon ein großer Anreiz. Ich habe mir auch die bisherigen und aktuellen Programme des Philharmonischen Vereins angeschaut. Da gibt es selbst für mich noch einiges zu entdecken. Auch im Programm der nächsten Champagner Musicale sind Kompositionen, die ich noch nicht kannte. Auch die Möglichkeit, solistisch zu spielen, hat mir sehr zugesagt.
Schumacher: Extra für Sinn Yang haben wir bei der nächsten Champagner Musicale, die ja ein spanisches Programm bietet, ein besonderes Stück dazugenommen: die Carmen Phantasie von Pablo de Sarasate. Hinzu kommt auch eine Komposition von Rimski-Korsakow, bei dem Sinn Yang Konzertmeisterin und Solistin in einem ist.
Wird das Programm dadurch instrumentallastiger?
Schumacher: Ja. Der anfangs sehr hohe Sängeranteil der Champagner-Reihe wird dadurch kleiner. Wir wollen Stücke spielen, die das Orchester musikalisch und spieltechnisch weiterbringen.
Millard: Die Champagner Musicale soll Stücke umfassen, die das Publikum unterhalten, aber auch das Orchester fordern. Ich kenne das Format seit 2010, das damals noch von seinem Gründer Alfred Kalb (1932 bis 2019) konzipiert wurde. Damals stand die leichte Muse mit Werken unter anderem von Johann Strauß der Fokus. Mit dem Fokus auf mehr Instrumentalstücke sprengen wir mittlerweile Alfreds Konzept. Aber wenn wir das Orchester weiterentwickeln wollen, müssen wir das machen. Einfache Arien zu begleiten, bringt kein Orchester weiter. Anspruchsvolle Stücke schweißen ein Orchester zusammen, das haben wir zuletzt beim Rachmaninow-Konzert erlebt. Auch Brahms ist dafür geeignet, da muss alles von vorne bis hinten sitzen.
Steht Brahms auf Ihrer Agenda?
Schumacher: Sinn Yang wird 2027 das Brahms-Violinkonzert mit uns spielen. Ich hatte erst gezögert, weil wir ja seit vielen Jahren mit der Geigerin Anne Luisa Kramb zusammenarbeiten, mit der wir weiter zusammenarbeiten wollen. Wir werden das Brahms-Konzert daher zweimal spielen, einmal in Klingenberg mit Anne Luisa Kramb und in Aschaffenburg mit Sinn Yang. Das passt gut zusammen, weil Alexander Wiegand Anne Luisa im Rahmen eines Kultur-Sponsorings ja eine kostbare Stradivari-Geige zur Verfügung stellt. Die Konzerte in Klingenberg helfen, uns neue Publikumsschichten im Landkreis zu erschließen.
Sinn Yang: Ich kenne Anne Luisa Kramb von Kindheit an. Wir hatten an der Würzburger Musikhochschule denselben Lehrer: Max Speermann. Ich habe erlebt, wie sie schon als Zwölfjährige eines der schwersten Violin-Stücke überhaupt spielte: eine Komposition von Eugene Ysaye. Sie war ein echtes Wunderkind. Ich freue mich sehr, dass wir jetzt auch musikalisch zusammenarbeiten. In Klingenberg bin ich ja als Konzertmeisterin dabei. Ich finde es auch spannend, eine Komposition sowohl von der Orchester- wie der Solistenseite zu erleben. So lernt man das Ganze umfassender kennen.
Champagner Musicale ist ja ein Format, das aus vielen kleinen und unterschiedlichen Stücken besteht. Ist das für eine Konzertmeisterin eine besondere Herausforderung?
Sinn Yang: Auf jeden Fall. Mann muss sich oft umstellen. Ein durchgehendes, längeres Stück, wie beispielsweise eine Sinfonie oder eine Oper ist natürlich leichter. Aber es ist eine schöne Mischung aus bekannten und unbekannten Stücken. Ich freue mich darauf, etwas zu bewegen und aktiv mitgestalten zu dürfen.
Wie häufig können Sie proben?
Schumacher: Wir haben vier Proben vor einem Konzert. Sinn Yang: Das heißt, ich muss, alle müssen von Anfang an sehr gut vorbereitet sein und wissen, wo die Herausforderungen der jeweiligen Stücke liegen. So kann man gleich an der gemeinsamen musikalischen Vorstellung mit dem Dirigenten arbeiten.
In welcher musikalischen Epoche fühlen Sie sich am wohlsten?
Sinn Yang: Ich versuche schon, meinen musikalischen Horizont zu erweitern. Ich habe kürzlich schon einmal ein spanisches Programm mit Werken von Turina, Granados und anderen spanischen Komponisten mit Klavier in Rom gespielt. Ich habe aber auch schon die Solosonaten von Bach und die Schumann'schen Sonaten für Violine und Klavier gespielt. Ich bin so betrachtet doch wohl sehr deutsch geprägt. Beim Programm Mozart meets East, bei dem ich auch mitwirke, waren auch koreanische Komponisten zu hören. Kontraste finde ich sehr reizvoll.
Champagner Musicale »Viva Espana« am Samstag, 21. Februar, 19.30 Uhr Stadthalle am Schloss Aschaffenburg.
Die in Würzburg geborene Koreanerin Sinn Yang hat bei Max Speermann in Würzburg und Thomas Brandis in Lübeck Violine und Historische Aufführungspraxis am Mozarteum Salzburg studiert. Sie gewann zahlreiche Preise. Als Solistin spielte sie unter anderem mit dem Deutschen Sinfonieorchester Berlin, den Nürnberger Philharmonikern, Anhaltische Philharmonie Dessau und dem Luzerner Sinfonieorchester und sie trat in München, Dortmund, Prag sowie in Japan und Süd-Korea auf.
Nach Konzertmeistertätigkeiten am Staatstheater Nürnberg, Sinfonieorchester Luzern und der Deutschen Oper Berlin widmet sie sich inzwischen neben eigenen Konzerten vor allem dem Unterrichten als Dozentin an der Hochschule für Musik Würzburg und Hochschule für katholische Kirchenmusik und Musikpädagogik Regensburg. In Würzburg hat sie 2021 mit dem Projekt "Follow me with Bach" alle 6 Solosonaten von Bach an einem einzigen Tag aufgeführt. 2024 wurden die Gesamtaufnahme derselbigen sowie eine Gesamtaufnahme aller Sonaten von Robert Schumann für Violine und Klavier bei "onclassical" veröffentlicht.