»Konflikte sind Grundlage jeder ›guten‹ Geschichte«

Anna Ryberg und Carsten Schumacher: Die Moderatorin und der Vorsitzende des Philharmonischen Vereins über die 30. Ausgabe der Champagner Musicale

ALEXANDER BRUCHLOS | Main-Echo

ASCHAFFENBURG. »In zweifelhafter Gesellschaft« lautet der vieldeutige Titel der 30. Champagner Musicale des Philharmonischen Vereins, die am Samstag, 8. Februar, um 19.30 Uhr über die Bühne der Aschaffenburger Stadthalle geht. Im Gespräch erläutern Anna Ryberg, Moderatorin des Abends, und der Vorsitzende des Vereins Carsten Schumacher, weshalb sie an der Veranstaltung nach dem Attentat im Schöntal festhalten und sie sprechen über kulturelle Aneignung in der Kunst sowie die Magie der Musik.

 

Die 30. Auflage von Champagner Musicale findet unter dem Eindruck des Attentats in Aschaffenburg statt. Beeinflusst dieses Ereignis Ihre Planung?

Carsten Schumacher: Ja, natürlich. Offen gesagt haben wir uns gefragt, ob wir das Konzert absagen sollen. Wir haben uns dagegen entschieden. Wir wollen aber vor dem Konzertbeginn um eine Schweigeminute für die Opfer dieser unbegreiflichen Tat bitten. Den Erlös aus dem Verkauf unserer Programmhefte, den wir mit einem Spendenaufruf verbinden, werden wir in voller Höhe den Opfern spenden. Wir wollen ein starkes Zeichen der Solidarität setzen. Musik verbindet und wir glauben daran, dass sie unserem Publikum auch Trost und Unterstützung schenken kann.Champagner Musicale trägt in diesem Jahr den Titel »In zweifelhafter Gesellschaft«. Blickt man auf die aktuelle Weltlage, ist das ein Titel, der sich auf zahlreiche Bereiche in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft anwenden ließe.

Spielte das auch bei der Titelfindung  eine Rolle?

Anna Ryberg: Leider ist der Titel sehr aktuell in unserer Welt voller Krisen. Aus historischer Sicht hatte allerdings jede Zeit ihre Herausforderungen. Alle Künstler haben auf diese Herausforderungen reagiert und diese künstlerisch umgesetzt. Fast alle Opern spiegeln in irgendeiner Weise ihre Zeit wider. Konflikte – ob politischer oder persönlicher Natur – sind die Grundlage jeder »guten« Geschichte. Der Titel »In zweifelhafter Gesellschaft« ist quasi die Klammer, die alle Stücke unseres Programms zusammenhält. Schumacher: Ergänzend zitiere ich gerne aus unserem Programmheft: »Kaum eine Opern- oder Operettenhandlung kommt ohne raffiniert gesponnene Intrigen, geradezu skandalöses Verhalten wichtiger Protagonisten und amouröse oder politische Verwicklungen jeder Art aus. Die daraus resultierende Spannung löst sich zwar in vielen Fällen zum Happy End auf, führt aber auch oft in ein tragisches Finale. Unser diesjähriges Programm geht in einer abwechslungsreichen Mischung von hochdramatischer und unterhaltsamer Musik solchen spannenden Geschichten nach«.

Ließen Sie sich bei der diesjährigen Zusammenstellung der Ouvertüren und Arien eher von der Programmatik der Stücke oder von der Musik leiten?

Ryberg: Champagner Musicale ist, wie der Titel schon andeutet, ein unbeschwerter Abend voller musikalischer Höhepunkte. Das Publikum soll sich von wunderbarer Musik mitreißen lassen, die wunderschön gespielt und gesungen wird. Auf der Bühne steht eine Gruppe junger Sänger unterschiedlichster Herkunft, die an der Schwelle zu einer internationalen Karriere stehen. Dieses Konzert ist keine Plattform für politische Statements, sondern ein Abend der Freude.


Der zweite Teil des Abends gehört Jacques Offenbachs einaktiger Operette »Häuptling Abendwind«, die als »Faschings-Burleske« 1862 in Paris uraufgeführt wurde. Es ist eine groteske Geschichte um zwei Stammeshäuptlinge auf einer Südseeinsel mit »kannibalistischen« Neigungen. Fürchten Sie nicht, dass Ihnen bei der Bearbeitung eines solchen Themas die Verbreitung »rassistischer Stereotype« vorgeworfen werden könnte?

Ryberg: Eine Herausforderung, um es vorsichtig auszudrücken. Dieses Stück, insbesondere in seiner ursprünglichen Nestroy-Fassung, ist in heutiger Zeit offensichtlich inakzeptabel. Die Zeiten haben sich geändert, und das ist auch gut so. Die Texte haben wir radikal gekürzt und modernisiert. Wir haben das Stück nicht wörtlich interpretiert und uns von jeglichen kolonialistischen Konnotationen ferngehalten. Stattdessen sind wir viel mehr auf die Frechheit und Absurdität der Pariser Cabaret-Szene eingegangen und haben uns an der literarischen Originalquelle »Le Vent du Soir« von Phillip Gille orientiert. Unsere Kostümbildnerin Silke Mondovits von der Oper Frankfurt hat Kostüme aus der Zeit um 1800 mit einem Hauch von modernem Witz geschaffen.

Schumacher: In der Tat kann die Geschichte dieser Operette nicht wie in der Vergangenheit erzählt werden. Details wollen wir hier noch nicht enthüllen. Wir wollen unser Publikum überraschen und hoffentlich begeistern.Schon das Maskieren von Kindern mit Häuptlingsschmuck bei Faschingsveranstaltungen wird heute mitunter skeptisch gesehen.


Wie wollen Sie verhindern, dass Ihnen der Vorwurf kultureller Aneignung gemacht wird?

Ryberg:
»Häuptling Abendwind« wurde für dieses Konzert in echt »Offenbachscher« Manier ausgewählt. Jacques Offenbach, in seinem unermüdlichen Bestreben, sein Publikum zu unterhalten, musste sehr schnell schreiben und konnte nur aus den stimmlichen Ressourcen schöpfen, die ihm zum Zeitpunkt der Komposition zur Verfügung standen. Genau wie Monsieur Offenbach musste Michael Millard einen Einakter für die vier wunderbaren Solisten des Opernstudios der Oper Frankfurt finden – übrigens eine interessante Konstellation aus zwei Tenören, einem Bariton und einer Sopranistin.


Gibt es ein Beispiel von einer Oper oder Operette, das aus diesen Gründen heute nicht mehr aufführbar wäre?

Ryberg: Turandot war in China bis in die 1980er Jahre verboten. Stellen Sie sich vor, dieses Stück wäre verloren gegangen. Gott sei Dank gibt es sehr kluge und sensible Regisseure, die Geschichten neu erzählen können. Kunst will und muss aber auch provozieren.Die  jungen Solistinnen und Solisten des Opernstudios der Oper Frankfurt tragen im ersten Teil des Abends Arien aus Opern von Puccini (Turandot, Tosca, La Bohème) und Giordano (Andrea Chenier) vor.


Sind das Lieder, die die jungen Künstler ohnehin im Repertoire haben, oder wurden sie speziell für die Veranstaltung einstudiert?

Ryberg: Das sind ihre Fachpartien und es gibt ihnen die Möglichkeit, die Stücke wirklich vor einem begeisterten und sachkundigen Publikum aufzuführen. Eine komplette Operette für den zweiten Teil des Abends zu lernen, mit einem gesprochenen Text und einem manchmal sehr schwierig zu singenden deutschen Text, ist eine enorme Herausforderung für Nicht-Muttersprachler. Unsere Sängerinnen und Sänger kommen aus Korea, der Türkei, Südafrika und Mexiko.

Wie sah die Vorbereitung aus?
Ryberg: Herausfordernd, aber lustig. Ich liebe es, mit der Oper Geschichten zu erzählen.

Schumacher: Am Anfang stand der Vorschlag unseres Chefdirigenten Michael Millard, »Häuptling Abendwind« zu präsentieren. Nach der Zustimmung von Thomas Stollberger, dem Leiter des Opernstudios der Oper Frankfurt, haben wir gemeinsam geeignete Kompositionen für den ersten Teil des Abends gesucht. Wir sind davon überzeugt, dass dieses Konzert an den großen Erfolg des letzten Jahres anschließen wird. Was uns auch wichtig ist: Wir wollen insbesondere neues Publikum für klassische Musik begeistern. So ist auch unser Plakat entstanden, das mit der Hilfe von künstlicher Intelligenz von Henning Oppermann aus Köln entstanden ist.


Frau Ryberg, Sie haben sich seit 2016 mit  ihren Vermittlungskonzepten einen Namen gemacht unter anderem als Projektleiterin des Jugend-Projekts der Oper Frankfurt Mina. Wie und mit welchen Mitteln kann man Kinder und Jugendliche heute für Oper und Operette begeistern?

Ryberg: Die Partnerschaft zwischen dem Philharmonischen Verein Aschaffenburg und dem Opernstudio der Oper Frankfurt besteht seit vielen Spielzeiten. In den letzten Jahren habe ich mich mehr und mehr in die Vermittlungs- und Bildungsprojekte eingebracht, bei denen ich sowohl moderiere als auch Regie führe, um ein neues Publikum – jung und alt – zu erreichen. Es ist nie zu spät, den Zauber eines Opernhauses zu entdecken. Als ehemaliges Ensemblemitglied der Oper Frankfurt versuche ich, nicht »betriebsblind« zu sein. Mir ist bewusst, dass nicht jeder weiß, dass Oper großartig ist. Ich möchte die Leute durch die Tür locken. Danach kommen viele Menschen wieder, weil sie sich der Magie der Oper nicht entziehen können. Das Vorurteil, dass Oper schwer, lang und teuer ist, ist nur vordergründig richtig. Ich möchte meinen Beitrag leisten, Menschen für diese großartige Kunstform zu begeistern. Man muss nur kommen und es ausprobieren - offen sein. Gerade in der heutigen Welt des Zweifels und der Unruhe kann das Theater ein Ort der Besinnung sein, wo »alte Geschichten neu erzählt« uns alle für ein paar wertvolle Stunden vereinen. Und natürlich macht Musik auch Spaß. Theater ist bunt, Theater ist lustig. Wir können alle ab und zu ein bisschen kichern; selbst über den aufgeblasenen Gentleman, der versehentlich seinen eigenen Sohn verspeist!

Hintergrund: Anna Ryberg, Carsten Schumacher und die 30. Champagner Musicale Die Schwedin Anna Ryberg entwickelt und leitet seit 2016 im Rahmen von »JETZT! Oper für dich« verschiedenste Vermittlungskonzepte sowie Konzertformate, die sie auch selbst moderiert. Dazu zählt die Frankfurter Holzfoyer-Reihe »Oper to go«. In jüngster Zeit war Anna Ryberg zudem als Stimmcoach und Projektleiterin des Jugend-Projekts der Oper Frankfurt Mina tätig, das im Februar 2019 Premiere gefeiert hat. Seit 2020 ist sie als Stimmbildnerin für Kinder Chor Oper Frankfurt. Ryberg war langjähriges Ensemblemitglied der Oper Frankfurt und sie sang in Aix-en-Provence, Amsterdam, Jersey, Leeds, Limoges, London, Manchester, Rouen und Sydney.
Der Vorsitzende des Philharmonischen Vereins Carsten Schumacher wurde 1955 in Hamburg geboren und lebt seit 1991 in Glattbach (Kreis Aschaffenburg). Der studierte Geiger und Betriebswirt ist verheiratet und hat zwei erwachsene Kinder. Der Bankkaufmann arbeitete bei einer Schweizer Großbank, bevor er in geschäftsführender Funktion an verschiedenen Firmensanierungen und -umstrukturierungen beteiligt war – beim Baukonzern Philipp Holzmann, in der Einzelhandelskette Woolworth, beim Automobilhersteller Karmann und in der Betriebsgesellschaft des Nürburgrings. In den vergangenen 15 Monaten war er Vorstandsvorsitzender des Glasherstellers Ritzenhoff AG.


Bei der Champagner Musicale »In zweifelhafter Gesellschaft, zwischen Partys, Intrigen und Skandalen« am Samstag, 8. Februar, um 19.30 Uhr in der Aschaffenburger Stadthalle sind Werke von Mozart, Puccini, Suppé, Rossini, Giordano, Gershwin und Offenbach zu hören. Solisten sind Idil Kutay, Abraham Bretón, Andrew Kim, Sakihwe Mkosana. Moderation: Anna Ryberg. Leitung: Michael Millard. (ab)

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